- Minnesang: Höfische Kunst
- Minnesang: Höfische KunstNeben die geistlichen vokalen Formen und Gattungen trat im weltlichen Bereich seit dem frühen 12. Jahrhundert die Kunst des Minnesangs, verstanden zunächst in einem weit gefassten Sinn als jede Art höfischer Dichtung und Musik des Hochmittelalters. Im Zentrum des Minnesangs stand die Thematik der »hohen Minne«, die Verehrung der »Herrin«, der verheirateten Frau, die gleichsam von ferne, aus idealisierender Distanz besungen wurde. Minne dieser Art, eingebettet in das vorbildhafte Verhaltensbild des Adels, war der Inbegriff einer aristokratisch-höfischen Tugend- und Lebenslehre, eines Welt- und Gesellschaftskonzepts mit eigenen, vom klerikalen System teilweise unabhängigen Wertordnungen. Kritische, realistischere, auch parodistische und standesuntypische Tendenzen bildeten hierzu thematische Kontraste, die sich im Spätmittelalter mehr und mehr verselbstständigten und das ursprüngliche Konzept überformten.Der musikalische Vortrag der Minnelyrik, der Gesang, ist aufs Engste mit der Sprache verbunden. Text und »Weise« bilden eine Einheit und sind nicht - wie etwa beim Kunstlied des 19. Jahrhunderts - als nachträgliche Vertonung eines vorgefundenen Gedichts aufzufassen. Der Dichter-Sänger war kein Komponist im modernen Sinne. Er erfand die Worte und die Musik dazu im Blick auf die ihm geläufige Situation des Singens vor höfischem Publikum und seiner eigenen Rolle in dieser Gesellschaft. Dabei konnte er vorhandenes Melodiengut aufgreifen. Er konnte auch die Weise bei jedem Vortrag geringfügig verändern, wenngleich nicht ganz neu gestalten, da sie im Prinzip, in ihrem allgemeinen Duktus dem Gedicht angehörte. Erst in einem weiteren Prozess verselbstständigten sich die Weisen und konnten mit neuen Texten verbunden werden.Daraus erklärt sich die nicht gerade reiche musikalische Überlieferung des Minnesangs, namentlich für die Blütezeit im 12. und 13. Jahrhundert. Viele Weisen wurden zunächst nur mündlich tradiert und nur eine geringe Zahl später aufgeschrieben. Dementsprechend ist nur ein kleiner Teil der Texthandschriften mit Melodien versehen, und auch diese sind oft nicht zweifelsfrei lesbar, besonders wenn sie neben dem Text für sich notiert sind, sodass die Zuordnung zu den Worten fraglich bleiben muss. Soweit Melodien in Choralnotation vorliegen, ist wenigstens ihr Tonhöhenverlauf eindeutig erkennbar. Ungeklärt bleibt in fast allen Fällen die rhythmische Struktur. Hierüber hat es in der Minnesangforschung unterschiedliche Theorien und Interpretationsversuche gegeben. Am einleuchtendsten erscheint die Annahme, dass die rhythmische Gestaltung frei dem Textvortrag angepasst wurde und sich auch nach unterschiedlichen Aufführungssituationen gerichtet hat.Als Begleitinstrumente dienten Fiedel, Harfe, Cister oder Drehleier. Doch auch hier ist keinesfalls klar, welche Rolle sie spielten, da für sie kein eigener Part aufgezeichnet wurde. Zu denken ist an eine mit dem Gesang übereinstimmende instrumentale Linie, die ihm vielleicht nicht in allen Ausschmückungen folgte oder ihn umgekehrt durch eigene Verzierungen bereicherte, aber auch an einfache Begleitttechniken wie ständig wiederholte Ostinatoformeln, Haltetöne oder liegende Klänge (zum Beispiel unverändert mitklingende Bordunquinten wie beim Dudelsack), ferner an rein instrumentale Vor-, Zwischen- und Nachspiele, wie es textfreie Passagen in manchen Aufzeichnungen nahe legen.Die musikalischen Formen sind im Wesentlichen durch die lyrischen Formen des Textes vorgegeben, denn die Weise sollte ja, bis auf Ausnahmefälle, die Worte auch in ihrer dichterischen Struktur verdeutlichen. Dagegen sind, soweit man das erkennen kann, inhaltliche Wort-Ton-Entsprechungen und Ansätze zur Tonmalerei selten. Hierzu muss man aber die unterschiedlichen regionalen Traditionen der höfischen Minnelyrik gesondert betrachten, die Kunst der Troubadours, der Trouvères und des deutschen Minnesangs im engeren Sinne des Wortgebrauchs.Troubadour oder altprovenzalisch Trobador von »trobar« (= finden) bezeichnet den Sängerdichter, der Wort und Weise der Lieder »fand«. Er sang seine Lieder selbst oder ließ sie von einem »Jongleur« (»Joglar«), der in seinen Diensten stand, vortragen. Als ältester bezeugter Troubadour gilt Wilhelm IX., Herzog von Aquitanien und Graf von Poitiers, der von 1071 bis 1127 lebte. Der Troubadourgesang war eine adlige Standeskunst, auch wenn der Anteil an Nichtadligen relativ hoch war, etwa Marcabru oder Bernart de Ventadour. Als erste Gattung erscheint am Anfang der »Vers«, der bereits alle thematischen Aspekte enthalten kann. In der zweiten Generation entstanden die »Kanzone«, Hauptgattung der Liebesthematik, ferner die auf soziale und politische Realität bezogene »Sirventes« und die erzählenden Gattungen, die »Alba« (Abschied eines Paares am Morgen) und die »Pastorelle« (Begegnung zwischen Ritter und Hirtin). Die Form der Kanzone (auch Barform genannt) besteht aus einem Aufgesang, dem »Stollen«, dessen Wiederholung und einem Abgesang (AAB), auch mit Rückgriff auf den Stollenschluss (AABA'). Abweichend erscheint die dichterische Kanzone gelegentlich als musikalisch durchkomponierte »Oda continua«. Die erzählenden Gattungen zeigen weniger schematisierte Formen, nicht selten mit Refrain. 460 Troubadours sind namentlich bekannt, darunter auch Dichterinnen (die »Trobairitz«), aber nur von 44 Sängern sind Melodien erhalten. Der Niedergang der südfranzösischen Troubadourkunst, von der Anregungen für die nordfranzösischen Trouvères und die deutschen Minnesänger ausgingen, begann mit den Albigenserkriegen. Einer ihrer letzten Sänger, Guiraut Riquier, lebte im späten 13. Jahrhundert am kastilischen Hof Alfons' X..Etwa 200 Liederdichter nennen die Handschriften der Trouvères in Nordfrankreich, etwa 2 500 Lieder sind in ihnen überliefert. Vom letzten Drittel des 12. bis ins 14. Jahrhundert hinein wurde hier die einstimmige höfische Liebeslyrik gepflegt. Von den großen Höfen in Nordfrankreich ging die Führung in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts an die Städte über, wo eine patrizisch und klerikal bestimmte Schicht, die sich in »Puys« (von lateinisch »podium«) organisierte, zum Träger der Liebesdichtungen wurde. Der bedeutendste Trouvère war Adam de la Halle, der um 1237 in Arras geboren wurde. Er wirkte als Berufssänger in Städten und an Adelshöfen. Sehr bekannt war sein Schäferspiel »Le jeu de Robin et de Marion«, eine Dramatisierung der Gattung Pastorelle mit Liedeinlagen. Er verfasste neben einstimmigen Liebesliedern auch schon mehrstimmige Rondeaux und Motetten.Der deutsche Minnesang begann annähernd um die gleiche Zeit, um 1150, mit einer archaischen ritterlichen Lyrik, die heimischen Traditionen verpflichtet scheint. In einer zweiten Phase wurden, vor allem im Umkreis des Stauferhofs, Formen und Themen von den Troubadours übernommen. Mit den »klassischen« Sängern kurz vor 1200 wie Heinrich von Morungen, Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide wurde der deutsche Minnesang weitgehend selbstständig. Im 13. Jahrhundert initiierte Neidhart von Reuental mit seiner Bauernthematik die folgenreichste Erweiterung des Darstellungsrahmens. Andere Sänger verwendeten weiterhin die alten Formen. So war wie bei den Troubadours die Kanzone mit ihrer Liebesthematik die meistgepflegte Gattung. Daneben trat die Spruchdichtung mit Fürstenpreis, Lebenslehre, religiöser Unterweisung und politischer Aussage. Die Melodien dazu sind spät überliefert, vor allem beim hochhöfischen Liebeslied ist man auf Kontrafakturen angewiesen, das heißt auf Lieder, deren Melodien von anderen Liedern übernommen wurden.In dieser Weise scheint eine größere Anzahl der deutschen Minnelieder des 12. Jahrhunderts, deren Melodien nicht aufgezeichnet sind, nach dem Textinhalt und der Form ihrer Texte Nachbildungen provenzalischer oder altfranzösischer Vorlagen zu sein. Daraus hat man geschlossen, dass ihre musikalische Anlage ebenfalls diesen Vorlagen entsprach, und so eine ganze Reihe von Melodien rekonstruiert, selbstverständlich mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit, da gewisse Abweichungen solche Rekonstruktionen auch infrage stellen können. Auch zum geistlichen Liedgut der Zeit sowie zum späteren Meistersang bestehen musikalische Beziehungen, die Kontrafakturen plausibel machen.Prof. Dr. Peter SchnausEggebrecht, Hans Heinrich: Musik im Abendland. Prozesse und Stationen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Taschenbuchausgabe München u. a. 1996.Europäische Musik in Schlaglichtern, herausgegeben von Peter Schnaus. Mannheim u. a. 1990.Gülke, Peter: Mönche, Bürger, Minnesänger. Musik in der Gesellschaft des europäischen Mittelalters. Leipzig u. a. 21980.
Universal-Lexikon. 2012.